Kongressrückblick 2025 / Save the Date
Europäischer Gesundheitskongress München am 22. und 23. Oktober 2026 in München
Tag 1
Zwei Tage voller Impulse, klarer Botschaften und Aufbruchsstimmung: Der Europäische Gesundheitskongress München zeigte, dass Deutschland mit Sprunginnovationen Vorreiter weltweit werden kann. Unter dem Motto „Sprunginnovationen im Gesundheitswesen: Von Rückstand zur Zukunft“ diskutierten über 900 Teilnehmerinnen und Teilnehmer vor Ort sowie 450 online über Strategien für ein modernes, zukunftsfähiges Gesundheitswesen. „Wir haben in den zwei Tagen eindrucksvoll gesehen, dass nicht nur große Länder wie China, sondern auch kleine wie Ruanda erfolgreich sind, wenn sie klare und konsequente Strategie haben“, betonte Veranstalterin und Kongressleiterin Claudia Küng. Im Mittelpunkt des Kongresses stand die Transformation im Gesundheitswesen, die alle Bereiche betrifft. In beinahe jeder Session wurde dabei der Ruf nach einer Strategie und gemeinsamer Zukunftsvision laut.
In der Eröffnungsveranstaltung mahnte Prof. Daniel Rückert von der TU München Tempo bei Digitalisierung und KI an. Er forderte den Ausbau der Digital- und Dateninfrastruktur und die Stärkung von Kompetenzen und Translation. „Die Risiken, KI nicht einzusetzen, sind größer als die Risiken ihrer Einführung“, sagte er. Prof. Karlheinz Brandenburg von der TU Ilmenau und Mit-Erfinder von MP3 erinnerte daran, dass Innovation Geduld, Durchhaltewillen und Mut erfordert.
Dr. Felix C. Seyfarth aus Ruanda verdeutlichte, wie strategisches Handeln aussehen kann: Ruanda versteht Gesundheit als Staatsziel, baut vernetzte Strukturen für Ostafrika auf und fördert Innovation mit Haltung. „Zukunft ist keine Gnade, sondern eine Entscheidung, die Mut verlangt“, betonte er. Für DAK-Vorstandschef Andreas Storm zeigt Ruanda, was Deutschland aktuell fehlt: Entschlossenheit und ein gemeinsames Bild der Zukunft. „Dort weiß man, wohin man will – und gibt den Akteuren Freiheit, ihre Ideen umzusetzen.“ Er forderte ein Umdenken in der Politik. „Wir brauchen eine Vision, ein Gesamtbild davon, wo wir hin wollen“, betonte er. „Im Moment haben wir bei fast allen wichtigen Themen mehr Bremsklötze als Beschleuniger.“
Strategisch will Bayerns Gesundheitsministerin Judith Gerlach die Prävention angehen und stellte in der Eröffnungsveranstaltung den Masterplan dafür vor. Unter anderem soll eine digitale Plattform mit vielfältigen Präventionsangeboten und verlässlichen Informationen entstehen. Prävention müsse gesellschaftlich gelebt und politisch flankiert werden, betonte sie, und sowohl Bund als auch Bürger seien gefragt.
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Was Sie über KI im Gesundheitswesen wissen müssen
„Die Zeit ist jetzt“, sagte Dr. Franz Pfister, CEO der deepc GmbH. In den vergangenen zwei Jahren habe sich die Nutzung und Akzeptanz von KI enorm beschleunigt. Pfister sieht großes Potenzial, aber auch Verantwortung: KI könne Qualität und Effizienz verbessern und Kosten senken, zugleich müsse man verstehen, wie neue Modelle im klinischen Alltag funktionieren. Gerade neue algorithmische Strukturen hätten den Durchbruch ermöglicht.
Prof. Dr. Sebastian Kuhn vom Universitätsklinikum Gießen-Marburg betonte, dass KI in allen Phasen der Versorgung eine Rolle spielen werde – von der Anamnese bis zur Therapie. Chatbots könnten Patienten künftig lotsen oder Behandlungsprioritäten unterstützen, Smartphones seien schon heute diagnostische Werkzeuge. „Smartphone ist für mich das Stethoskop des 21. Jahrhunderts“, sagte er. Digitale Therapien, etwa bei Rückenschmerzen, funktionierten inzwischen evidenzbasiert. Kuhn forderte, die Integration von KI stärker in die ärztliche Aus-. Fort- und Weiterbildung einzubetten: „Wie beim Röntgen müssen wir auch KI zur Grundkompetenz machen.“
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GKV-Finanzlage: Ein weiter so kann es nicht geben
Andreas Storm, Vorstandsvorsitzender der DAK-Gesundheit, zeichnete ein alarmierendes Bild der finanziellen Lage der gesetzlichen Krankenversicherung. Viele Kassen seien bereits bilanziell verschuldet, der Zusatzbeitrag steige weiter. „Das politische Versprechen einer Beitragsstabilität ist nicht haltbar.“ Ohne Reformen werde die 20-Prozent-Marke bei den Beitragssätzen in den 2030er-Jahren fallen. Storm forderte einen „Dreiklang aus Steuerzuschüssen, Ausgabenbegrenzung und Strukturreformen“, um die Kassen zu stabilisieren.
Wie erleben die Versicherten und Beitragszahler die GKV-Krise? Die Situation verunsichere sie zunehmend, gab AOK-Bayern-Chefin Dr. Irmgard Stippler zu bedenken. „Sie zahlen immer mehr Beiträge, gleichzeitig müssen sie lange Wartezeiten für Facharzttermine akzeptieren, und haben Schwierigkeiten, sich im System zurechtzufinden.“ Sie verwies auf eine aktuelle Umfrage der AOK zur Primärversorgung. Deren Kernaussage: Menschen wünschten sich jemanden, der sie durch das System führt. Dafür seien sie bereit, ein Stück Freiheit bei der Arztwahl aufzugeben. „Wir sind es den Menschen, die uns ihre Beiträge anvertrauen, schuldig, eine gute Versorgung sicherzustellen“, betonte Stippler und drängte auf Strukturreformen.
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Wer übernimmt Verantwortung für Adipositas?
Mit dieser Frage beschäftigte sich der Bayreuther Gesundheitsdialog unter der Moderation von Prof. Dr. Amelie Wuppermann, Lehrstuhl für VWL III, Universität Bayreuth. Prof. Dr. Matthias Laudes, Klinik für Innere Medizin Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, wies daraufhin, dass Adipositas als chronische Erkrankung, die genetisch fixiert sei, ein Leben lang behandelt werden müsse. Für entsprechende Medikamente würde es gute Daten geben, aber keine Kostenübernahme für alle Erkrankten. Laudes warb nun für die Idee, wenigstens Patientengruppen mit einer „klinischen Adipositas“ die Kosten zu erstatten, also denjenigen, die gesundheitliche Probleme aufgrund ihrer Adipositas haben.
Prof. Dr. Hans Theiss, MdB, Mitglied im Ausschuss für Gesundheit Deutscher Bundestag, sieht angesichts knapper GKV-Kassen keine Chance für eine Kostenübernahme hierzulande. Er setzt auf mehr Eigenverantwortung der Patienten und Patientinnen. Prof. Dr. Katharina Timper Lehrstuhl für Klinische Ernährungsmedizin an der Technischen Universität München, berichtete, wie in der Schweiz eine „kontrollierte und hoch-reglementierte Kostenübernahme“ der GLP-1-Pharmakotherapie vonstatten geht. Christel Moll, 1. Vorsitzende Adipositas Verband Deutschland e. V., beklagte, dass das verabschiedetet DMP Adipositas noch immer nicht in der Versorgung angekommen sei: „Weil die Finanzierung bei den Niedergelassenen noch nicht gegeben ist, wird sich für Adipositas selten Zeit genommen. Doch die Menschen setzen ihre Hoffnung darauf“.
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Elemente eines optimalen Krankenhauses
Schnell waren sich alle Teilnehmer dieser englischsprachigen Session einig: Das optimale Krankenhaus gibt es bisher nicht, aber Kliniken, die auf dem besten Weg dorthin sind. So brauche es vor allem ein Management, das eine Werteausrichtung etabliere, so Stefan Friedrich, Leiter Länderpraxis Naher Osten, KPMG AG. Auf Digitalisierung und eine Wohlfühl-Patient-Journey setzt Prof. Dr. Harry van Goor, Fakultät für Medizinische Wissenschaften, Radboud University Medical Center, Niederlande: „Bei uns gibt es keinen Desk oder lange Flure. Alle Räume sind so designt, dass die Patienten sich entspannen und bleiben wollen.“ Øyvind Skraastad, Bereichsleiter, Division of Medical Emergencies and Critical Care, Oslo University Hospital, stellte das „Surgical Cockpit“ vor, das Operationen per KI plant. Patienten können dort selbst ihre Verfügbarkeit mitteilen.
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Wer trägt was? Generationengerechtigkeit in der GKV und sozialen Pflegeversicherung auf dem Prüfstand
Für CSU-Fraktionschef Klaus Holetschek hat die Frage der Stabilität in der GKV und der Pflegeversicherung politisch „eine unglaubliche Sprengkraft“. Gelinge das nicht, sei der Generationenvertrag in Gefahr. Auch Frank Hippler, Vorstandsvorsitzender der IKK Classic, warnte, dass das System nur dann Bestand habe, wenn die jüngeren Generationen es als gerecht empfinden. Er forderte, Prävention als „essentielle Investition in die Zukunft“ zu begreifen und Gesundheitskompetenz bereits im Kindesalter zu stärken. Gleichzeitig müsse die Versorgung effizienter und die Finanzierungsbasis breiter werden.
Der Freiburger Ökonom Prof. Bernd Raffelhüschen erinnerte daran, dass das Problem der Generationengerechtigkeit seit Jahrzehnten bekannt sei: „Wir wissen seit 40 Jahren, dass wir ein Problem haben.“ Er schlug vor, Beiträge einzufrieren, Leistungen für die Babyboomer-Generation als „Verursacher“ anzupassen und stärkere Eigenbeteiligungen für sie einzuführen. Holetschek warnte jedoch vor einem Systembruch. „Die Solidarität im System würde ich nicht aufgeben wollen“, betonte er. Aber auch er plädierte für strukturelle Reformen in der GKV und in der Pflege. „Wir müssen uns damit auseinandersetzen, was wir uns noch leisten wollen“, sagte er.
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Ambulantisierung gelingt nicht im luftleeren Raum. Was Krankenhäuser jetzt brauchen
Bis 2030 will die Bundesregierung, dass zwei Millionen bisher vollstationäre Fälle hybrid erbracht werden. Damit dieser Wandel gelingt, brauche es aber echte Anreize, betonte Christian Pellehn von den GLG-Kliniken Eberswalde. Kliniken, die ambulante Leistungen übernehmen wollen, bräuchten ein faires Vergütungssystem. „Das Vergütungsniveau der Hybrid-DRG muss gehalten werden“, betonte er. Eine Absenkung auf das EBM-Niveau würde den Häusern „die letzte Motivation, sich auf diesen Weg zu machen,“ nehmen. Ohne Investitionsmittel und passende Rahmenbedingungen werde die Ambulantisierung nicht gelingen.
Die Schweiz ist die Ambulantisierung schon weiter vorangeschritten. Aber auch dort hat man mit einigen Hürden zu kämpfen. Die Spitäler hadern mit der Vergütung und bemängeln, dass ambulante Behandlungen sich nicht kostendeckend durchführen lassen, berichtete Verena Nold, Direktorin von Santésuisse. Die bisherigen Erfahrungen würden aber zeigen, dass solche Spitäler, die ihre Strukturen und Prozesse anpassen, mit realistischen Fallzahlen rechnen und die gesamte Behandlungskette auf ambulante Abläufe ausrichten, erfolgreich seien. „Um Gewinne zu ermöglichen, muss man zuerst investieren“, machte Nold deutlich.
„Ambulantisierung braucht Infrastruktur“, betonte Stephan Richtzenhain, Geschäftsführender Gesellschafter der Sitex Textil-Dienstleistungen Simeonsbetriebe GmbH – Deutschlands größtem Anbieter für Textilvollversorgung im Gesundheitswesen. Die Versorgung neuer ambulanter Strukturen sei eine logistische Herausforderung. „Während wir zu einem Krankenhaus normalerweise mit einem 15-Tonner plus Anhänger fahren, kommen wir in eine Fußgängerzone damit nicht ohne Weiteres hinein.“ Sitex habe daher ein neues Konzept entwickelt: kleinteilige Paketstrukturen, die über Paketdienste wie DHL geliefert und abgeholt werden. Die Ambulantisierung betreffe aber auch die Pflege. „Wenn wir wollen, dass Menschen zu Hause gepflegt werden, müssen wir den ambulanten Pflegediensten Arbeit abnehmen – etwa beim Thema Wäsche.“ Sitex beliefere deshalb nicht nur Altenheime, sondern auch ambulante Pflegedienste mit individuell zusammengestellten Wäschepacks.
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Datenschatz statt Datenschrott – Wie aus Gesundheitsdaten echte Innovation wird
Prof. Dr. Jörg Debatin, Healthcare-Entrepreneur, brachte es in seinem Impuls auf den Punkt: „Wir haben viele gute Daten, wir müssen sie nur nutzen.“ Das Problem sei, dass Daten in Silos aufgefangen werden, die sich nur schwer miteinander kombinieren ließen. PD Dr. Hartmuth Nowak, Ärztlicher Leiter des Zentrums für Künstliche Intelligenz, Medizininformatik und Datenwissenschaften Knappschaft Kliniken, Universitätsklinikum Bochum mahnt: „Kliniken müssen ihre eigene Datenbank aufbauen, leider tun das bisher zu wenige, weil sie nicht verstanden haben, dass das der Schlüssel zur digitalen Transformation ist.“ Wie man den Datenschatz in einem Uniklinikum hebt, berichtetet Prof. Dr. Felix Nensa, Professor für Radiologie mit Schwerpunkt KI, Universitätsmedizin Essen: „Als erstes muss man die Daten aus ihren Silos befreien und in ein einheitlichen Datenstandart bringen.“ Apps und Anwendungen würden dann „obendrauf“ kommen, um die Versorgung zu verbessern.
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Life Sciences als Schlüssel für Sprunginnovationen
Was zieht innovative Pharmaunternehmen nach Afrika? „Stabilität, Verlässlichkeit, Kooperationen“, so Dr. Felix C. Seyfarth, Seniorberater des Staatsministers für Bildung, Ruanda. Kleine Staaten wir Ruanda könnten zudem agiler handeln als große mit ihrer „Bürokratietradition“. Matthias Kühn, Globale Lieferkette / Standortleiter Pfaffenhofen, Daiichi Sankyo Deutschland GmbH, betont die Expertise in Europa, die seinen japanischen Arbeitgeber nach Deutschland gezogen habe. Der Weg vom Konzept in den Markt müsse jedoch schneller gehen.
Welches Innovations-Potenzial auch der ländliche Raum in Deutschland bietet, berichtete Ralf Miller, Erster Bürgermeister von Biberach an der Riß (35.000 Einwohner), dem weltweit größten Forschungs- und Entwicklungszentrum von Boehringer Ingelheim und Standort weiterer Global Player wie Liebherr oder KaVo Dental. Wir kam es dazu? Miller: „Biberach hat sich nicht nur auf die Autoindustrie verlassen, sondern durch Miteinander-Reden die gemeinsamen Bedarfe vor Ort erkundet. Als Stadt arbeiten wir immer in Symbiose mit den Unternehmen, damit diese sich gut entwickeln können.“ So sei zum Beispiel der Studiengang Pharmazeutische-Biotechnologie entstanden, parallel dazu habe sich ein BioPharma Cluster entwickelt. „Einander sehen und gemeinsam gestalten, das zeichnet Biberach aus.“ Benjamin Gmeiner, Direktor und Leiter für medizinische Datenstrategie und -wissenschaft Novartis Pharma GmbH, setzt auf „KI in Kombination mit Gesundheitsdaten als Gamechanger“. Dabei gehe es weniger um Technik als um das „richtige Mindset“ und passende Rahmenbedingungen. „Die Zukunft des Gesundheitswesens in Deutschland ist datenbasiert“, so Gmeiner.
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Knappe Arztzeit optimal einsetzen
Die Arztzeit ist knapp. Das spüren Ärztinnen und Ärzte, aber auch Patientinnen und Patienten. Was raubt die Zeit? Die Gründe sind vielfältig, waren sich die Teilnehmer des Podiums in der Session einig. Zum einen der langjährige Trend zur Anstellung und Teilzeit, aber auch Bürokratie, unzuverlässige technische Systeme und die steigende Morbiditätslast. Wenn die Babyboomer-Generation in Rente geht, dürfte sich die Knappheit noch verstärken. Welche Wege es aber jetzt schon gibt, die knappe Arztzeit optimal einzusetzen, zeigten Tanja Gerlach, Praxismanagerin bei Gerlach & Partner, und Linus Drop, Gründer und Geschäftsführer von Lilian Care. Beide nutzen intensiv technische Möglichkeiten und inzwischen auch zunehmend die KI sowie Delegationsmodelle, damit Ärztinnen und Ärzten in ihren Praxen sich den Patienten widmen können, die die ärztliche Expertise wirklich brauchen. Damit solche Modelle auch flächendeckend Anwendung finden testet der bayerische Hausärztinnen- und Hausärzteverband derzeit das HÄPPI-Konzept. Am Ende soll, so der Verbandsvorsitzende Dr. Wolfgang Ritter, eine Art Leitfaden entstehen, der Praxen erlaubt, ihre Praxisorganisation zu optimieren.
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Hospital@Home: Chance für eine Verbesserung der Versorgung?
„Ja!“, sagt Prof. Dr. Volker Amelung CEO inav - privates Institut für angewandte Versorgungsforschung GmbH, und gab Einblicke in eine im Auftrag der Rhön Stiftung erstellte Studie, die kurz vor der Veröffentlichung steht. So würden vor allem geriatrische Patienten aber auch Frühstgeborene von dem Konzept profitieren. Starre Sektorengrenzen würden hierzulande jedoch ein Hindernis sein. „Wir müssen ein Geschäftsmodell daraus machen, das für Kassen, Klinken und Patienten sinnvoll ist.“ Dr. Anne Sophie Platzbecker, Postdoktorale wissenschaftliche Mitarbeiterin Digitale Gesundheit, Wirtschaft & Politik Hasso Plattner Institut, Else-Kröner-Zentrum für Digitale Medizin, TU Dresden, teilte ihre Erfahrungen aus Israel, wo Hospital@Home bereits etabliert ist: „78 Prozent der Patienten würden sich dafür entscheiden.“ Biggi Welter, Vorstand Mamazone e.V.: „Meine Sorge wäre, dass wir als Patienten irgendwann aus Kostengründen nicht mehr gefragt werden, ob wir im Krankenhaus oder zuhause behandelt werden wollen. Als ehemalige Frühchenmutter hätte ich mein Kind nicht mit nachhause genommen.“
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Innovationsbremse lösen – Brücken bauen zwischen Projekt und Regelversorgung
So lautet Titel des BKK-Symposiums, das vom BKK Landesverband Bayern im Rahmen des Europäischen Gesundheitskongresses München ausgerichtet wurde. Dr. Ralf Langejürgen, Vorstand, BKK Landesverband Bayern in seiner Begrüßung: „Wenn man sich die Innovationskultur anschaut und sieht, wie Erfinder, Startups und Innovatoren in unserem Land an eine Wand aus Skepsis uns Risikoscheu stoßen, wenn sie etwas Neues auf den Markt bringen wollen, dann kann einem bisweilen angst und bange werden.“
Prof. Dr. Martin Dietrich, Leiter des Referats Innovationsfonds – Zukunftsregion digitale Gesundheit Bundesministerium für Gesundheit., nannte seine Kernbotschaft: „Projekterfolg ist kein Innovationserfolg“. Man könne nicht behaupten, wir seien nicht innovativ, es käme auf die Perspektive an: „Wenn wir uns den Zeitraum von der Zulassung eines Arzneimittels bis in den Markt ansehen, sind wir in Deutschland im europaweiten Durchschnitt Spitzenreiter.“ Dr. Lorenz Grünerbel, Gründer von SoreAlert, das Sensor-Pflaster zur Dekubitus-Prävention entwickelt hat: „Die Regulatorik stellt eine riesige Hürde dar, denn um unseren Algorithmus zu trainieren, müssen wir selbst Patientendaten beschaffen, und das ist in Deutschland extrem schwierig.“ Es brauche viel Zeit, Geld und starke Nerven, um das durchzuhalten.
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Innovations-Turbo in der Medizin: Die nächste Stufe ist schon gezündet!
Prof. Dr. Dirk Haller, Direktor des Instituts für Ernährung und Immunologie TU München, berichtete über die Chancen durch die Mikrobiomforschung. Vor allem Medikamente würden die mikrobielle Funktionalität im Darm verändern. „Ich könnte mir vorstellen, dass in zehn Jahren in der Medikamentenzulassung kein Weg mehr daran vorbeigeht, Medikamente im Kontext des Mikrobioms anzusehen und vielleicht sogar zusätzliche Funktionalität zu entwickeln.“ Dieses Feld habe sich gerade erst entwickelt. Dr. Oliver Eichmüller Arzt & Medizinischer Wissenschaftler Medizinische Universität Wien & Institut für Molekulare Biotechnologie (IMBA) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW), berichtete über die Forschung an Organoiden. In welchem Bereich wird sie in den nächsten zehn Jahre eine Rolle spielen? „Einerseits beim Ersatz von bestimmten Zelltypen, die aus unterschiedlichen Gründen nicht vorhanden sind, also zum Beispiel Gewebe, das zerstört wurde.“ Der andere Bereich gehe in Richtung der personalisierten Medizin, um Therapien individualisiert zu testen.
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Zwischen TikTok und Therapie – was brauchen Kinder wirklich?
Die Frage stellte Moderator Prof. Dr. Andreas Beivers Studiendekan Gesundheitsökonomie Hochschule Fresenius München und wissenschaftlicher Leiter des EGKM, der seine Tochter Laura (13) auf das Podium mitbrachte. Zunächst gab Dr. Claudia Ritter-Rupp, 2. stv. Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (KVB) und Fachärztin für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, einen Einblick in die Realität der Versorgung: „Bei Kindern und Jugendlichen ist in den letzten Jahren eine deutliche Zunahme an psychischen Erkrankungen und Störungen zu verzeichnen.“ Die Ursachen seien komplex. Gleichzeitig gebe es einen Nachwuchsmangel bei Kinder- und Jugendpsychiatern, der kaum zu bewältigen sei. Kinder bräuchten vor allem verlässliche menschliche Beziehungen und Bindungen. Digitale Räume dürften diese nicht ersetzen.
Prof. Dr. Heidrun M. Thaiss, Professur Health Promotion, Lehrstuhl Präventive Pädiatrie Technische Universität München, wies auf das Suchtpotenzial von Medien wie TikTok hin. Sie plädierte für den Einsatz von Schulgesundheitsfachkräften (Schoolnurses), um Medien- und Gesundheitskompetenz zu vermitteln. Gymnasiastin Laura Beivers nutzt wie alle anderen in ihrer Klasse Snapchat: „Da kommt jede Minute eine neue Nachricht rein. Die möchte man natürlich nicht verpassen.“ Häufig sei es schwer zu widerstehen. Von Vorteil an ihrer Ganztagsschule sei, dass alle ihr Handy vor dem Unterricht abgeben müssen.
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Reizthemen Personaluntergrenzen und Pflegebudget – Konfliktfelder und Lösungsansätze
Die Diskussion um Pflegepersonaluntergrenzen und Pflegebudget bleibt emotional und grundsätzlich. Für Dr. Stephanie Vogt, Pflegedirektorin der München Klinik, markieren etwa die Pflegepersonaluntergrenzen einen wichtigen Wendepunkt: Zum ersten Mal hätten sie rote Linien gezogen, die nicht unterschritten werden dürften. „Ohne die Untergrenzen hätten wir das Pflegebudget wohl nie auf die Beine gestellt“, sagte sie. Für Prof. Andreas Schmid von der Universität Bayreuth hingegen haben die Vorgaben keine Zukunft. In Zeiten wachsender Fachkräftelücken seien sie kaum noch erfüllbar und damit wirkungslos. Statt starrer Sollgrößen brauche es einen Paradigmenwechsel hin zu Ergebnisqualität – entscheidend sei, was Pflege leiste, nicht wie viele Köpfe eingesetzt würden.
Auch beim Pflegebudget prallten die Positionen aufeinander. Für Christiane Lehmacher-Dubberke vom DBfK Südost war es ein überfälliger Schritt, der Pflege endlich als systemrelevant und wertvoll anerkannte. Prof. Boris Augurzky verwies dagegen auf die Kostenexplosion seit der Einführung. Zudem habe das System Fehlanreize geschaffen, weil es keinen Anreiz für effiziente Organisation biete. Statt Kontrolle und Mengendenken brauche es, so beide Seiten, letztlich mehr Fokus auf die tatsächlichen Ergebnisse für Patientinnen und Patienten.
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Künftige Ärztegeneration: Teilzeit, Stadt und angestellt? Kann Versorgung so funktionieren?
Die junge Ärztegeneration strebt nach einer guten Work-Life-Balance, zeigt aber auch großes Interesse an der ambulanten Versorgung, betonte Raphaela Fritzsche von der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns. Zwar gebe es Vorbehalte wegen Bürokratie, Investitionskosten und fehlender Digitalisierung, doch viele Studierende könnten sich eine spätere Tätigkeit in der Praxis vorstellen – oft zunächst in Anstellung. Medizinstudentin Ariane Berner hob hervor, wie wichtig frühe Einblicke in die ambulante Medizin seien: „So verlieren viele die Scheu vor der eigenen Praxis und sehen, wie erfüllend die Arbeit mit den Patientinnen und Patienten sein kann.“
Auch die Ärztinnen und Ärzte Dr. Michael Hubmann, Dr. Marie-Christin Winkler und Stefanie Kunkel warben für die Niederlassung. Sie beschrieben ihre Selbstständigkeit als Chance, Medizin nach eigenen Vorstellungen zu gestalten – mit mehr Verantwortung, Gestaltungsspielraum und Lebensqualität. Gerade im ländlichen Raum, sagten sie, könne man mit guter Infrastruktur, familienfreundlichen Rahmenbedingungen und echtem Teamgeist junge Ärztinnen und Ärzte überzeugen.
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Alles im gelben Bereich? Bei der Aktion „IMPFPASS-CHECK“ gab es an beiden Kongresstagen die Gelegenheit, seinen Impfstatus prüfen zu lassen – zum Glück, muss man wohl sagen: „In 90 Prozent der vorgelegten Impfpässe fehlten die akut von der STIKO empfohlenen Impfungen“, resümiert Katharina Körner vom Gesundheitsreferat München. Insbesondere Impfungen gegen Influenza, Pneumokokken, Covid19 oder Gürtelrose. Impfpässe für Kinder wurden hingegen vorbildlich gepflegt.
Große Nachfrage auch bei der kostenfreien Aktion „Herzgesundheit? – Check!“, die das Unternehmen Amgen in Kooperation mit der Deutschen Lipid-Liga (DGFL) und dem Deutschen Herzzentrum München den Kongressteilnehmern anbot. Das Ergebnis: „Von superfit bis zu einem erhöhten Risiko für die Herzgesundheit war alles vertreten“, so Kardiologin Priv.-Doz. Dr. med. Katharina Lechner. Niedrigschwelligen Check-Angebote wie diese würden oftmals eher wahrgenommen als der Besuch in der Hausarztpraxis.
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Tag 2
Krise oder Chance: Wie wir die Kliniklandschaft gezielt transformieren
Wie geht es bei der Transformation der Krankenhauslandschaft weiter? Wann gibt es klare Vorgaben aus Berlin? Was bedeutet das für Planung, Investitionen und Versorgung in der Fläche? Diese Fragen bewegten viele Kongressteilnehmer aus Kliniken und Verbänden. Die Antworten lieferte Johanna Sell, Leiterin der Unterabteilung Krankenhauswesen im Bundesministerium für Gesundheit. „Wir hoffen, dass das Krankenhausanpassungsgesetz zum 1. März 2026 in Kraft treten kann“, erläuterte sie den Zeitplan. Sell betonte auch, dass das Bundesgesundheitsministerium erst langfristig neue Leistungsgruppen einführen wolle: „Wir wollen Planungssicherheit schaffen und eine gewisse Ruhe in diese Umbruchphase bringen.“ Gleichzeitig forderte sie von Ländern und Kliniken, ihre Verantwortung ernst zu nehmen und von Ausnahmeregelungen des KHAG „mit Augenmaß“ Gebrauch zu machen.
Für Dr. Dirk Elmenhorst, Geschäftsführer der Mediqon GmbH, steckt in der Umbruchphase eine Chance. „Die Zukunft der Gesundheitsversorgung lässt sich gestalten“, sagte er. Innovationen, insbesondere Künstliche Intelligenz, könnten helfen, Effizienz und Qualität zu verbessern. Voraussetzung sei, „dass wir die richtigen Anreizsysteme schaffen und Wettbewerbselemente erhalten, um Innovationen zu fördern“. Ordnung ja, so Elmenhorst, „aber keine Fesseln“.
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„München grüßt China!“, hieß es am zweiten Kongresstag zur Live-Videoschaltung der Chinesisch-Deutschen Gesundheitsbrücke. Der Raum war bis auf den letzten Stuhl besetzt, als die Kongressteilnehmer die Gelegenheit hatten, eine chinesische Delegation von Medizinern, Regierungsvertretern und Unternehmern zu treffen, vornehmlich aus der Metropole Baoding, wo derzeit ein riesiges Medical Center entsteht „Wir freuen uns sehr über den Austausch mit China, weil wir wissen, dass dort viele Dinge schneller funktionieren als bei uns und in größerer Skalierung möglich sind“, eröffnete Kongressleiterin Claudia Küng mit Begrüßungsworten auf Chinesisch. Jihong Yan, 1. Oberbürgermeisterin, Volksregierung der Stadt Baoding, China, betonte ebenfalls ihre Freude über diesen wachsenden Austausch und lud nach Baoding ein. Die Stadt wolle innovative Impulse setzen, vor allem im Bereich der Stammzellentherapie und der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM). Eine Zusammenarbeit mit Deutschland und Europa sei das Ziel, so ein Vertreter der Delegation. Ebenso die gegenseitige Ausbildung von Fachpersonal. Dr. Claus W. Biermann MD MPH, Leiter der Bundesfachkommission „Gesundheitswirtschaft“, Bundesverband für Wirtschaftsförderung und Außenwirtschaft (BWA) moderierte das Meet and Greet, bei dem sich deutsche und chinesische „Leuchttürme der Gesundheit“ vorstellten. Darunter Michael Weller, Gesundheitsexperte und ehem. Abteilungsleiter Gesundheitsversorgung und Krankenversicherung, Bundesgesundheitsministerium; Andreas Ellmaier, Experte für Bayerische Gesundheitsversorgung und -politik; Prof. Dr. mult. Eckhard Nagel, Vorstand Krankenversorgung (Vorsitz), Medizinische Universität Lausitz - Carl Thiem; Sean Monks, Geschäftsführer, Monks - Ärzte im Netz GmbH. Am Ende waren sich alle einig: Diese Gesundheitsbrücke zwischen China und Deutschland eröffnet neue Wege!
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Zukunft ohne Ärzte? Realität, Risiko, Regelwerk
Von einer Medizin ohne Ärztinnen und Ärzte kann keine Rede sein – darin waren sich Prof. Christiane Kuhl, Präsidentin der Deutschen Röntgengesellschaft, und Prof. Jens Scholz, CEO des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein, einig. Kuhl erinnerte daran, dass Radiologinnen und Radiologen weit mehr tun, als nur Bilder auszuwerten: „Wir sprechen mit Patienten, beraten Kolleginnen und Kollegen und führen Therapien durch – rund ein Drittel unserer Arbeit ist Kommunikation.“ Zwar funktioniere Künstliche Intelligenz in klar umrissenen Anwendungsfeldern wie Mammografie oder Frakturerkennung, in anderen radiologischen Bereichen bleibe sie auf absehbare Zeit ein Hilfsmittel. „KI kann helfen, aber sie ersetzt uns nicht“, sagte Kuhl.
Auch Scholz betonte, dass die Medizin ohne Ärztinnen und Ärzte undenkbar sei. Angesichts wachsender Arbeitslast, neuer Diagnostikverfahren und eines zunehmenden Fachkräftemangels könne KI aber helfen, Prozesse effizienter zu gestalten. „Wir müssen uns fragen, wie wir mit der gleichen Zahl an Menschen mehr leisten können“, so Scholz. KI sei dabei ein Werkzeug, kein Ersatz.
„Für das Ziel mit Sprunginnovationen im Gesundheitswesen die Versorgung von heute und morgen zu verbessern, braucht es mehr mutige Schritte zur Technik, wie KI“, betonte Dr. Ullrich Schricke, stellv. Aufsichtsrat der Radiologengruppe 2020. Aber ohne eine fundierte fachärztliche Expertise sei die Versorgung von heute und morgen nicht darstellbar. Es brauche dabei gerade fachärztlich ausgebildete Mediziner, die nah an den täglichen Herausforderungen einer patientenorientieren Versorgung agieren, um Technik auch sinnvoll einzusetzen
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Vergütungsklarheit in der Kliniklandschaft – Wie geht es weiter mit der Krankenhausfinanzierung
Für Prof. Boris Augurzky, Geschäftsführer Institute for Health Care Business GmbH, ist der Weg der Krankenhausreform mit ihrer Zentralisierung längst vorgezeichnet – nicht durch politische Beschlüsse, sondern durch die Alterung der Gesellschaft. Die Reform wirke dabei nur als Katalysator, der diesen Trend beschleunige. Damit die Reform gelingt, plädierte Augurzky unter anderem dafür, das Vorhaltebudget seltener anzupassen, um mehr Planungssicherheit zu schaffen, und nicht durch Ambulantisierungseffekte abzusenken. Level-1i-Standorte müssten attraktiver gestaltet und Ausnahmeregelungen bundesweit einheitlich definiert werden. Außerdem müsse der Transformationsfonds „einen klaren Fokus auf Zentralisierung haben“, betonte er, „sonst drohen Verwässerung und Mitnahmeeffekte.“
„Wenn ich nicht weiß, welche Leistungsgruppen ich bekommen und behalten werde, und was sie wert sind, dann habe ich zu viele Variablen, weil ich die Menge schwer einschätzen kann und den Preis nicht kenne“, erläuterte Dr. Tim-Oliver Guderjahn, Kaufmännischer Geschäftsführer München Klinik. In einer Branche, in der Plus oder Minus fünf Prozent über Gedeih und Verderb entscheiden könnten, sei das nicht vertretbar. „Mir ist es inzwischen fast schon egal, wie genau die Vergütung ausgestaltet sein wird, aber legt endlich die Spielregeln fest und ändert sie nicht ständig. Ich möchte endlich planen können“, appellierte Guderjahn in Richtung Politik.
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Gewonnene Zeit: Durchbruch in der Alzheimertherapie
So lautet der Titel beim Bayreuther Gesundheitsdialog, der von Kongresspräsident und Neurologe Prof. Dr. Karl Einhäupl moderiert wurde. „Erstmals wurden zwei Wirkstoffe zugelassen, die ursächlich in die Entstehung von Alzheimer eingreifen. Mit diesen Wirkstoffen eröffnet sich eine neue Episode im Kampf gegen die Alzheimer-Erkrankung und das passt sehr gut zu unserem Kongressthema Sprunginnovationen.“ PD. Dr. Dr. Bernhard Michalowsky, Forschungsgruppenleiter Patientreported Outcomes & Health Economics Research Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen e. V. (DZNE) zeigte: „Menschen mit Demenz haben viermal so hohe Gesundheitskosten wir Menschen ohne Demenz. Das geht zu Lasten der Pflege, der Krankenkassen und natürlich der Angehörigen, die sie versorgen.“
Wie wichtig es sei, von Alzheimer Betroffene möglichst früh zu identifizieren und zu therapieren, betonte Prof. Dr. Thomas Duning Chefarzt, Klinik für Neurologie Gesundheit Nord gGmbH, Klinikverbund Bremen. Nur brauche es dafür eine gute ambulante Therapie auch eine Refinanzierung. Die gebe es bisher nicht. Prof. Dr. Timo Grimmer, Leiter, Zentrum für kognitive Störungen, Oberarzt Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München: „Demenz ist der Endzustand vieler Erkrankungen, und eigentlich haben wir versagt in der Medizin. Das ist so, als würden wir die koronare Herzkrankheit erst diagnostizieren, wenn die Leute einen Herzinfarkt hatten. Wir müssen Alzheimer einfach früher therapieren.“ Mehr Aufklärung, vor allem auch bei den Hausärzten, sei nötig.
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Zwischen Klinik und Zuhause – Das Niemandsland der Versorgung?
Ulrike Kramer, Leitung Geschäftsbereich Patientenmanagement Universitätsklinikum Düsseldorf, 2. Vorsitzende Deutsche Vereinigung für Soziale Arbeit im Gesundheitswesen (DVSG) betonte, dass noch immer Menschen sehr lange im Krankenhaus bleiben müssten, weil es trotz größtem Engagement nicht möglich sei, Rahmenbedingungen zu überspringen oder zeitnah die passende Versorgung zu finden. „Dieser Versorgungsaufgabe müssen wir uns stellen, und das kann nur zusammen gelingen.“ Teresa Millner-Kurzbauer, Bereichsleitung Pflege, Betreuung & Demenzhilfe sowie Mitglied des Vorstands Österreichische Gesellschaft für Care und Case, Management, Volkshilfe Österreich: „In Österreich gibt es keine zentrale Anlaufstelle für Unterstützung nach der Zeit im Spital.“ Pflegende Angehörige seien auf sich gestellt, und das sei vorrangig „ein weibliches Problem“. Nur ein Teil der Spitäler böten Entlassungsmanagement an. Ein Community-Nurse-Projekt konnte nicht weiter finanziert werden. Das große Problem in Österreich sei die Struktur der Bundesländer und deren massive Schranken. Ihr Apell: „Wir müssen noch stärker versuchen, die Leute dort abzuholen, wo sie Hilfe brauchen. Versorgung darf kein Zufall sein.“
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Notfallmedizin 2025 – Ein Sprung nach vorne?
Die Notfallmedizin in Deutschland steht vor einem Wendepunkt. Neben dem geplanten Notfallgesetz arbeitet der Gemeinsame Bundesausschuss an einer neuen Richtlinie zur stationären Notfallversorgung, die noch in diesem Jahr kommen soll, erklärte Martin Pin, Präsident der DGINA. Zentral werde dabei die Frage nach der Personalausstattung sein. „Bisher gilt für jede Versorgungsstufe im Prinzip das Gleiche – das kann so nicht bleiben“, sagte Pin. Entscheidend werde, wie viele qualifizierte Notfallmediziner überhaupt zur Verfügung stehen.
Die Frankfurter Ärztin Julia Lorenz sieht im aktuellen System strukturelle Schwächen. „In Deutschland gibt es für jedes Organ einen Facharzt – aber für die kritischsten Minuten des Patienten keinen“, sagte sie. Patienten würden zwischen Abteilungen hin- und hergeschoben, weil klare Verantwortlichkeiten fehlen. Angesichts von rund 21 Millionen Notfällen pro Jahr fordert Lorenz die Einführung eines eigenen Facharztes für Notfallmedizin – wie ihn über 60 Länder längst kennen. „Die Frage ist nicht mehr, ob wir diesen Schritt gehen, sondern wie lange wir es uns noch leisten können, ihn nicht zu gehen.
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Kliniken in der Krise. Der Transformationsfonds als Rettungsanker?
Prof. Achim Jockwig, Vorstandsvorsitzender des Klinikums Nürnberg, sieht in der Krankenhausreform grundsätzlich den richtigen Ansatz: Der Transformationsfonds muss aus seiner Sicht differenziert betrachtet werden – Ballungsräume hätten andere Anforderungen als ländliche Regionen, wo vor allem die Versorgungssicherheit zähle. „Wenn zwei Landkreiskrankenhäuser zu einer zentralen Einrichtung zusammengeführt werden, die dennoch regionale Erreichbarkeit bietet, ergibt das enorm viel Sinn“, sagte Jockwig. Kritisch sieht er jedoch, dass innovative Modelle wie Level-1i-Einrichtungen bislang nur eingeschränkt förderfähig seien.
Auch Jürgen Malzahn vom AOK-Bundesverband mahnte, dass echte Transformation nur mit klaren Zielbildern gelingen könne. „Die Investitionsquote liegt in allen Bundesländern deutlich unter vier Prozent – solange das so bleibt, wird das Thema Investitionen und damit auch Transformation immer sehr belastet sein“, sagte er. Zusätzliche Mittel wie beim Krankenhauszukunftsgesetz dürften nicht nur genutzt werden, um bestehende Lücken zu stopfen. Entscheidend sei, dass der Transformationsfonds tatsächlich Strukturveränderungen anstoße – begleitet von einem transparenten Prozess und laufendem Monitoring. „Wir müssen aus dem Krankenhausstrukturfonds lernen: Nur ein Drittel der damaligen Projekte hat wirklich etwas verändert“, warnte Malzahn.
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Blick in die Glaskugel: Humangenetik – Wie verändert sich unser Gesundheitssystem?
Dieser spannenden Frage ging Prof. Dr. Christof von Kalle, Lehrstuhl für Klinische Translationswissenschaften, Direktor des Zentrums für klinische Studien Berlin Institute of Health, nach. Sein Leitmotiv: eine „Vision Zero“ in der Medizin, also keine vermeidbaren schweren Erkrankungen oder Todesfälle. Ansätze dafür seien Prävention und Früherkennung, Präzisionsmedizin und personalisierte Behandlungen sowie Datenübermittlung. Biotechnologie ermögliche innovative Therapien und Präzision. Doch neue Techniken seien auch Kostentreiber, so Moderator Prof. Dr. Karl Einhäupl in die Runde. „Immer wird über das Geld geredet, die Universitätsklinika beklagen veraltete Geräte, wir haben einen Investitionsstau“, so MinDirig Dr. Michael Mihatsch, Bayerisches Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst. „Es braucht Kooperationen und Daten, die wir noch nicht haben für KI.“ Dr. Werner Kübler, Präsident Verwaltungsrat, SWICA Krankenversicherung AG: „Die Verfahren, die wirklich vielversprechend sind, sollten auch entgolten werden.“ In der Schweiz zahle man Pharmafirmen nicht immer sofort den vollen Preis, sondern erst nach drei Jahren, wenn die Therapie erfolgreich gewesen sei. Kübler: „Sonst haben wir gleich ein hohes Preisschild im System, das nie verschwindet.“
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IHK Start-Up Expo & Slam
Beim ersten IHK Start-Up Expo & Slam kämpften sieben junge Start-Ups aus dem Gesundheitsbereiche um den Sieg. In dreiminütigen Pitches stellten sie ihre Produkte und Ideen dem Kongresspublikum vor und buhlten um deren Gunst. Am Ende konnte das Start-Up RNhale GmbH mit seinem innovativen Konzept sowohl Jury als auch Publikum überzeugen und sich den ersten Platz sichern. RNhale ist ein Biotech-Spin-off der LMU München und entwickelt inhalierbare RNA-Therapeutika. Mithilfe einer proprietären Plattform werden RNA-beladene Lipid-Nanopartikel als Trockenpulver verabreicht – raumtemperaturstabil, ohne Kühlkette, weltweit einsetzbar. Das Unternehmen adressiert Asthma, COPD, Virusinfektionen und idiopathische Lungenfibrose.
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Zwischen Alarm und Antwort – Wie wir unser Gesundheitswesen für den Tag X wappnen
Diesem wichtigen Thema widmete sich die Abschlussveranstaltung des Kongresses. Einen bewegenden Impulsvortrag hielt Dr. Hans-Ulrich Holtherm, Generalstabsarzt, Kommandeur
Sanitätsakademie der Bundeswehr, der betonte: „Deutschland befindet sich nicht mehr im Frieden, sondern ist täglich Angriffen auf die kritische Infrastruktur ausgesetzt, auch auf Gesundheitseinrichtungen.“ Würde es zu einem NATO-Bündnisfall kommen, werde Deutschland zur Drehscheibe: „Bei einer Auseinandersetzung im Baltikum ist in Deutschland mit circa 1000 unfallchirurgisch zu versorgenden Pateinten pro Tag zu rechnen – zusätzlich zum Betrieb.“ Darauf müsse sich das Gesundheitssystem vorbereiten. Prof. Dr. Udo X. Kaisers Leitender Ärztlicher Direktor und Vorstandsvorsitzender Universitätsklinikum Ulm, tut das. Seine Empfehlung: „Kliniken sollten nicht auf eine Staatsreform warten, sondern selbst aktiv werden. Außerdem auf regionale Lösungen setzen und in Training, Mindset und Ausstattung investieren.“ Infrastruktur und Logistik seien Erfolgsfaktoren. Dr. Michael Horn, Leiter der Abteilung Zulassung Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM): „Wenn es darum geht, wie wir uns auf einen Kriegsfall vorbereiten, bin ich der persönlichen Auffassung, Wirkstoffe einzulagern.“ Zur Ehrlichkeit gehöre auch die Frage dazu, welches Maß an Unabhängigkeit in der Versorgung überhaupt noch erreichbar sei. Zum Ende der Veranstaltung resümierte Kongresspräsident Prof. Dr. Karl Einhäupl: „Jede Krise, die uns erreicht, müssen wir nutzen, um daraus zu lernen. Wir haben noch viel zu lernen.“
